Wetter: Bedeckt, grau und kühl
Ich habe gut geschlafen in meiner Pilgerklause. In der ‚Hospederia Seminario Mayor‘ direkt neben der Kathedrale habe ich mich schon immer wohl gefühlt. Das Frühstück hat seit meinem letzten Besuch leider etwas an Qualität abgenommen. Früher gab es noch Rührei und auch Obst, was ich beides sehr geschätzt habe.
Nach dem Frühstück habe ich mich auf die Suche gemacht nach einem Friseur. Gestern hatte ich schon einen kleinen Salon in einer Fussgängerzone entdeckt. Dort habe ich heute zuerst gefragt. ‚Ich habe vor dem Wochenende keinen Termin mehr frei‘, war die Antwort. Mit einem Handzettel über einem Kollegen bin ich den suchen gegangen. Leider gab es auch bei ihm keinen Termin mehr. Mmh? Damit hatte ich nicht gerechnet. Muss ich ohne neuen Haarschnitt zum Meer wandern? Ich glaube, da hilft jetzt nur ein Jakobsweg-Wunder.

Bis 10 Uhr war die Altstadt sehr verschlafen. Nach dem Öffnen der Geschäfte erwachte überall das Leben. Ein Bummel durch die Markthallen – die Waren sortiert nach Fisch, Fleisch, Wurst, Käse, Gemüse und Obst – zeigte eindrucksvoll den Reichtum und die Fruchtbarkeit von Nordwestspanien. Wie schon in Cadiz, haben mich auch hier die verschiedenen Meerestiere sehr fasziniert.

Vor der Kathedrale standen schon um 10:30 Uhr Menschen und warteten auf Einlass zur mittäglichen Pilgermesse. Ich hatte Glück und habe dann weit vorn noch einen Sitzplatz gefunden, von dem ich u.a. auf den lebensgrossen Heiligen Jakobus schauen konnte. Den kann man zu meinem Bedauern nicht mehr umarmen. Das Treppchen hoch zu ihm wurde entfernt. Ich nehme an, um das Risiko zu senken, sich mit dem Coronavirus anzustecken.

Die knapp einstündige Pilgermesse hat mich enttäuscht. Die Nonne mit der wunderbaren, weittragenden Stimme, die früher vor der Pilgermesse die Lieder vorgestellt hat, die dann gemeinsam gesungen wurden, gab es heute nicht, gemeinsam gesungene Lieder auch nicht. Die Messe selbst hat mich nicht gefesselt. War es die Messe selbst, der die Energie fehlte, oder fehlte sie mir nach der vielen Lauferei?
Nach der Messe hatte ich schon wieder grossen Hunger. Konnte das sein? Frühstück war doch noch nicht so lange her?
Essen gehen in der Altstadt von Santiago de Compostela erfordert gute Nerven. All‘ die vielen Restaurants wollen Geld verdienen und so überbieten sie sich u.a. mit günstigen Touristen-Menüs. Es gibt Schlepper, grossbebilderte Speisekarten und schwer zu überblickende Sonderkonditionen. Gutes ist darunter, keine Frage, aber man kann auch Pech haben und viel bezahlen für Mittelmässiges.
Das Restaurant der Kathedralenherberge bietet auch ein Mittagessen an: Dreigängig mit je zwei Gerichten zu Auswahl. Wasser, Wein, Brot und Kaffee inklusive, in gepflegter Atmosphäre kosten zusammen 14 Euro. Dort war ich essen und nachher satt und zufrieden.
Den Rest des Tages habe ich draussen verbummelt und in meinem Zimmer verschlafen. Ich fühlte mich körperlich sehr erschöpft und genoss das Nichtstun und Stillstehen.