21. April 2023 – Tag 44

Von Dornelas nach Santiago de Compostela

Wetter: Für ein paar Stunden war ich heute morgen über den Wolken. Beim Abstieg ins Umland von Santiago de Compostela wurde es immer nebeliger und am späten Vormittag begann es zu regnen. Bis zum Abend blieb es dann nass, grau und kühl.

Ich habe gut geschlafen in der privaten Herberge von Dornelas. Mikel und ich sind die einzigen Gäste geblieben. Wir bekamen ein leckeres, spanisches Frühstück. Bald danach bin ich als erster aufgebrochen. Einen zweiten Kaffee gab es für mich in einer Bar an der Brücke von Ponto Ulla. Keine fünf Minuten später sass Mikel wieder neben mir. Wir mussten beide lachen und sprachen kurz darüber, ob es Zufall ist, wen man auf dem Jakobsweg triff, und ob man aus diesen Begegnungen etwas lernen soll. Die vielen Male, die ich Mikel in den vergangenen Tagen getroffen habe, übersteigen für mich jedenfalls jede Zufälligkeit.

Der Jakobusbrunnen bei Outeiro

An einem alten Steinkreuz mit schönem Blick ins vor mir liegende Tal erschien es mir an der Zeit, den Regenschutz über meinen Rucksack zu ziehen und meinen Schirm auszupacken. Und tatsächlich, kurz danach fing es an zu regnen.

Um die Mittagszeit – mir knurrte schon wieder unüberhörbar der Magen –  kam ich an einem weiteren Hostal-Restaurant vorbei, eins der letzten vor Santiago de Compostela. Dies wird von Pilgern gern für eine Übernachtung genutzt, um am nächsten Tag rechtzeitig zur Mittags-Pilgermesse in der Kathedrale anzukommen.

Mein heutiges, kleines Mittagessen

Ich habe im Restaurant nur eine Kleinigkeit gegessen und bin trotzdem von der Wirtin ausgesprochen freundlich bedient worden. Dass ich nur wenig essen wollte, stiess bei ihr auf kein Verständnis und so gab es ein paar kleine Essen-Zugaben.

Die Energie aus dem Mittagessen half mir, das letzte Stück bis Santiago de Compostela zu laufen. Wenn man sich der Stadt von Süden nähert, wie ich es tat, geht es sehr lange stramm bergauf.

Blick zurück während meines Aufstiegs zum heutigen Etappenziel

Am Stadtrand tauchte plötzlich Mikel neben mir auf. Er hatte dort in einem Fischlokal gegessen und schwärmte in höchsten Tönen von einem Tintenfischgericht. Das wir uns genau an dieser Wegkreuzung zu genau dieser Zeit getroffen haben, erscheint mir ähnlich wahrscheinlich wie ein Lottogewinn.

Wir liefen zügig und redeten über dies & das. Da merkte ich plötzlich, dass ich das Ankommen in Santiago de Compostela nicht mehr mit all‘ meinen Sinnen erlebte. Ich habe Mikel das mitgeteilt und ihn gebeten, mich das letzte Stück des Weges allein laufen zu lassen. Ich hatte den Eindruck, dass er das verstanden hat. Er lief ab da schneller voraus; ich konnte ihn schon bald nicht mehr sehen.

Nur noch 5 Kilometer bis zur Kathedrale von Santiago de Compostela

Bei meiner Ankunft auf dem grossen Platz vor der Kathedrale (Praza do Obradoiro) hat es immer noch geregnet. Ich war glücklich, dass ich da war und aufhören konnte zu laufen, aber mehr Gefühle waren da nicht.

Mein erster Blick auf die Kathedrale

An der Rezeption der Kathedralenherberge wurde ich ausgesprochen nett begrüsst. Die Registrierung als Übernachtungsgast mir Frühstück war schnell erledigt und schon bald fuhr ich mit meinem Zimmerschlüssel in der Hand im Fahrstuhl in den vierten Stock. Mein Zimmer sah genauso aus wie bei meinem letzten Besuch, sogar das alte Internetpasswort funktionierte noch. Als ich dort oben die Tür von innen zuschloss, meinen Rucksack absetzte und ich die Wärme der Heizung fühlte, da war ich plötzlich sehr glücklich. Ich hatte es tatsächlich geschafft!

Eine ganze Weile habe ich dort gesessen, die Augen geschlossen und in mich hinein gefühlt. Die vergangenen 7 1/2 Wochen waren ein riesiges Geschenk an mich. Es liegt nun an mir, mit diesen Erfahrungen mein zukünftiges Leben zu bereichern. Ich möchte mehr der sein, der ich sein könnte (mein Potential entfalten). Ich möchte glücklicher und zufriedener sein. Ich möchte weniger Ängste und stattdessen mehr Vertrauen haben. Ich möchte Dinge einfach geschehen lassen können.

Blick von der Praza do Obradoiro auf die Kathedrale von Santiago de Compostela
Teilansicht der Kathedrale von Santiago de Compostela

Vor dem Duschen bin ich noch einmal in die Stadt gegangen. Ich war in der Kathedrale am Altar des Heiligen Jakobus und habe leise Danke gesagt.

Der Altar der Kathedrale von Santiago de Compostela mit einer lebensgrossen Jakobus-Figur

Dann war ich in einem Fischlokal und habe meinen Hunger gestillt. Dann endlich duschen. Danach fielen mir die Augen zu und so könnt ihr diesen Bericht erst einen Tag nach meiner Ankunft in Santiago de Compostela lesen.

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